Lug und Betrug

 

Verehrte Mandanten,

die finale Phase hat begonnen, und zwar schneller als erwartet. Der Euro in seiner
ursprünglichen Form ist am Ende. Die unkalkulierbaren Experimente der EU-Politiker mit ihren
zahlreichen Gesetzesbrüchen, ihr Stückwerk über die Zeit zu retten, sind gescheitert. Die
Realitäten, ablesbar im Zahlenwerk der Staatsbilanzen als auch an den Reaktionen der Bürger
auf der Straße, haben die dilettantische Politik bloßgestellt.

Endlich haben sich auch die Medien dem Thema angenommen. Was den Fachleuten schon seit
langem bekannt ist, wird jetzt auch in den Nachrichten endlich mit nicht mehr geschönten
Zahlen behandelt. In den letzten Wochen wurde in etlichen Talkshows die Argumentation der
Politiker reihenweise von Wissenschaftlern und Finanzfachleuten auseinandergenommen und
vollumfänglich widerlegt.

Die Fakten: Griechenland braucht bis Ende Juni € 12 Mrd., ansonsten ist das Land pleite. Der
IWF wiederum darf die Kredite gemäß ihrer Statuten nur ausleihen, wenn die Zahlungsfähigkeit
des Empfängers für mindestens 12 Monate gesichert ist. Dies ist bekanntlich nicht der Fall,
denn für 2012-2014 werden vorauss. weitere € 100 Mrd. aus dem Rettungsschirm benötigt, die
ohne eine nennenswerte Beteiligung der privaten Gläubiger (Banken und Versicherungen) der
Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln sind. Zudem konnten die von IWF und EU geforderten
Sparauflagen (erwartungsgemäß) nicht eingehalten werden.

Politische Machtspiele

Hier setzt der aktuelle Streit an: Bei der Konstruktion des nächsten Griechenland-Kredits lügen
sich alle Beteiligte derart in die Tasche, dass man kaum weiß, auf wen man zuerst zeigen soll.
Mittlerweile schiebt sich jeder innerhalb der EU-Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) den
schwarzen Peter zu. Erkennbar ist nur noch der politische Wille, bar jeden wirtschaftlichen
Sachverstands und unabhängig von kurz vorher beschlossenen Bedingungen, die Transferpolitik
fortzuführen. Es geht nur noch darum, zu verhindern, dass die Ratingagenturen für
Griechenland den offiziellen „default“ ausrufen, koste es, was es wolle. Die (geleugneten) EUFinanzministertreffen
an geheimen Orten passen eher zu einem James Bond-Film als zu
vertrauensbildender Wirtschaftspolitik und sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Trichet
wörtlich: „Wenn die Lage ernst wird, muss man lügen“.

Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass die Erkenntnis, dass Griechenland mit Krediten nicht zu
retten ist, gar nicht mehr bestritten wird. Die Kreditauflagen des IWF haben das Land in eine
katastrophale Wirtschaftslage geführt, in der das Wachstum vollständig eingebrochen ist. Ein
mindestens 50%iger Schuldenerlass unter Einbeziehung der privaten Gläubiger (Banken und
Versicherungen) ist unerlässlich. Selbst der einfache Bürger in Athen hat begriffen, dass die
IWF-Milliarden mit ihren unerfüllbaren Auflagen nur Schaden angerichtet haben und
Griechenland zum Spielball der Zinsspekulanten geworden ist. Die wütenden Proteste in den
griechischen Städten sind nur der Anfang. Die Menschen wollen kein EU-Geld, sondern ihre
Autorität zurück. Aus Angst vor Bankenpleiten haben die griechischen Bürger mittlerweile € 46
Mrd. von den heimischen Banken abgezogen.

Die aktuellen Diskussionen in der EU um eine Beteiligung des privaten Sektors (ob freiwillig
oder nicht) ist nur ein weiteres Ablenkungsmanöver für die uninformierte Öffentlichkeit, da die
Banken einen Großteil ihrer mediterranen Anleihen sowieso schon bei der EZB und damit beim
Steuerzahler abgeladen haben. In der Privatwirtschaft hätte man sich längst wegen Konkursverschleppung
strafbar gemacht. In Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht sind einige
Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm anhängig, die ersten Anhörungen finden in den
nächsten Tagen statt. Nur: Bis es hier zu einem endgültigen Urteil kommt, kann die EU-Troika
noch Unsinn anrichten.

Unterdessen spitzt sich die Lage in Griechenland zu. Der Oppositionschef forderte vorgezogene
Neuwahlen und will das EU-Rettungspaket neu verhandeln - sein Aufstieg könnte
Griechenlands Untergang bedeuten. Die Börsen-Zeitung hält einen Zusammenbruch der
Regierung und einen Staatsbankrott für möglich. Meines Erachtens steht der Kollaps kurz
bevor. Entweder die EU-Troika erkennt ihre realitätsfremde Politik (eher unwahrscheinlich)
oder die Griechen erklären, dass sie kein Geld mehr wollen, um keine weiteren Schuldenberge
aufzubauen. Dann hätten wir den Schuldenschnitt und die EU wäre blamiert (wahrscheinliche
Lösung).

Die notwendige Schritte

Nach unseren Erkenntnissen kann die Lösung eigentlich nur in einer Aufteilung der aktuellen
Währungsunion in die „Euros“ der zwei Geschwindigkeiten sein: in der aktuelle Euro 1.0-
Variante verbleiben die mediterranen Länder, während die starken Länder ausscheiden und
eine neue Währungsgemeinschaft (Euro 2.0) mit Deutschland, Niederlande, Finnland etc.
bilden. Je schneller die Lösung kommt, umso billiger ist sie noch zu realisieren. Damit wird der
Grundgedanke einer europäischen Gemeinschaft nicht zerstört, den unterschiedlichen
wirtschaftlichen Gegebenheiten wird jedoch Rechnung getragen. Dieses Modell muss jedoch
zwingend einhergehen mit einem wohl 40-50%igen Schuldenerlass für Griechenland, Portugal
und Irland. Damit könnte auch die Situation im wichtigsten südeuropäischen Land Spanien
entschärft werden, das mit seiner Jugendarbeitslosigkeit von fast 45% und seiner einseitigen
Wirtschaftsstruktur nicht aus der Rezession kommt. Ich habe gerade das Vergnügen, die
Lebenshaltungskosten in Spanien zu genießen, die sich im Laufe der letzten 10 Jahre weit mehr
als verdoppelt haben. Für den Urlauber immer noch erschwinglich – für die spanische
Durchschnittsfamilie eine Katastrophe.

Sie persönlich sind gefordert

Die Demokratiebewegungen auf der Welt sind stark, aber bisher nicht stark genug, um Brüssel
zu erreichen. Dort hält sich seit Jahrzehnten ein wirres und scheinbar undurchdringliches
Geflecht von Bürokratenherrschaft, das vermutlich in seiner Undurchschaubarkeit gewollt ist.
Denn was organisatorisch nicht mehr verstanden wird, kann auch nicht kontrolliert werden.
Verehrte Mandanten, es ist wichtig, den Politikern Einhalt zu gebieten und bei der Vernichtung
unseres Vermögens nicht länger zuzusehen. Laut Handelsblatt sorgt sich der Deutsche Städteund
Gemeindebund angesichts der ungelösten Griechenlandkrise um die Finanzlage der
deutschen Kommunen. Die Kommunalpolitiker in Ihren Wahlkreisen sind die richtigen
Ansprechpartner, um die Botschaften nach Berlin zu tragen. Sprechen Sie sie an oder schreiben
Sie ihnen – sie werden es ernst nehmen müssen, wenn sie wiedergewählt werden wollen. Egal,
um welche Partei es sich handelt: Die Politiker müssen begreifen, dass das Fass jetzt überläuft.
Noch können wir verhindern, dass sich in unseren Straßen solche Szenen wie in Athen und
neuerdings auch in Madrid abspielen.

Ich möchte jedoch nicht mit Negativmeldungen schließen. Was den südeuropäischen Ländern
wirklich helfen würde, sind Direktinvestitionen. Länder wie Griechenland und Portugal sind mit
Wind und Sonne gesegnet und bieten sich geradezu als Standort der Industrie für Erneuerbare
Energien an. Ein vernünftiges internationales Investitionsprogramm mit der Schaffung von
industriellen Arbeitsplätzen kann auch die Politik in die Lage versetzen, sinnvolle
Privatisierungen vorzunehmen (in Griechenland sind mehr als 53% der Betriebe in Staatshand)
und ein effizientes Steuersystem einzuführen.

In der Hoffnung, in den nächsten Tagen keine weiteren Hiobsbotschaften aus Brüssel,
Luxemburg, Berlin oder einem sonstigen verschwiegenen Chateau zu hören, werde ich nun
meinen „personal stimulus recovery plan“ fortsetzen, um im EU-Jargon zu bleiben.

Am Ende der Ferien bin ich wieder in München und freue mich auf Ihre Kommentare und
Anregungen. In diesem Sinne verbleibe ich

mit herzlichem Gruß

Ulrich Heil